Arbeits- und Forschungsschwerpunkte

Meine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Beziehung von Sprache und Kognition, die ich mit Hilfe einer interdisziplinären und sprachvergleichenden Herangehensweise untersuche. Hierbei interessiere ich mich insbesondere für verschiedene Spracherwerbsszenarien des Erst- und Zweitspracherwerbs, sowie des Bilingualismus’.

Meine Dissertation untersuchte den Einfluss sprachtypologischer Faktoren beim Erwerb von Raumsprache (Bewegungsereignisse) bei deutschen und französischen Erwachsenen und Kindern. Aktuell untersuche ich den frühen Spracherwerb von blinden und sehenden Kindern (1-3 Jahre). Hierbei steht die Rolle von Joint Attention in Eltern-Kind-Interaktionen und deren Einfluss auf den Spracherwerb im Mittelpunkt, um auf diese Weise den Zusammenhang von Wahrnehmung, Kognition und Sprache zu erforschen.

Am Institut für Deutsch als Fremdsprache unterrichte ich im Bereich der germanistischen Linguistik, der Spracherwerbs- und Mehrsprachigkeitsforschung.

Forschungsprojekte und Tagungen

Bisher wurde der frühe Spracherwerb blinder Kinder von Psycholinguisten nur selten empirisch untersucht. Die meisten Studien stammen von Psychologen, die berichten, dass blinde Kinder einen etwas verzögerten Spracherwerbsbeginn zeigen, und ihre Sprache bestimmte blindentypische Merkmale aufweist (z.B. Echolalien, Verbalismus), sich sonst jedoch in ihrer sprachlichen Entwicklung sehenden Kinder ähneln. Das geplante Projekt überprüft die Hypothese, dass Schwierigkeiten beim Erwerb von geteilter Aufmerksamkeit (Joint Attention) für den verzögerten Spracherwerbsbeginn verantwortlich sind. Joint Attention gilt als grundlegende Eigenschaft der menschlichen Interaktion, die Einfluss auf den Beginn der Sprachproduktion sehender und somit wahrscheinlich auch blinder Kinder hat. Um die Rolle von Joint Attention in der sprachlichen Entwicklung blinder Kinder zu ermitteln, wird der frühe Spracherwerb von blinden Kindern über einen längeren Zeitraum mit dem sehender verglichen.

In den letzten 30 Jahren wurde der Terminus Joint Attention mit verschiedensten Bedeutungen verwendet. Im Kontext dieses Projektes wird Joint Attention als der Prozess verstanden, bei dem eine Bezugsperson und das Kind ihre Aufmerksamkeit auf eine gemeinsame Entität oder ein Ereignis richten, wobei beide sich dessen bewusst sind, dass die Aufmerksamkeit des Anderen ebenfalls auf dieser Entität/diesem Ereignis ruht (Tomasello 1995). Das Projekt nimmt einen interaktionistischen Spracherwerbsansatz als Ausgangspunkt (vgl. Tomasello 2006), der davon ausgeht, dass die wichtigsten Voraussetzungen für den Spracherwerb sozial-pragmatische Fähigkeiten (z.B. Joint Attention, Verstehen von Intentionen) sind, gepaart mit allgemeinen kognitiven Abstraktionsprozessen. Kinder lernen Sprache, indem sie sprachlichen Input bekommen, daraus Muster abstrahieren, diese verallgemeinern und schließlich aktiv in der sprachlichen Interaktion "einüben". Dieser theoretische Ansatz würde einen verzögerten Spracherwerb blinder Kinder voraussagen, da sie sozial-kognitive Fähigkeiten später erwerben als sehende (Perez-Pereira & Conti-Ramsden 1999).
In Bezug auf sehende Kinder wurde in verschiedenen Studien (u.a. Baldwin 1995; Tomasello 1988; Tomasello & Farrar 1986) gezeigt, dass Situationen mit Joint Attention extrem günstig für den Spracherwerb sind. So lernen Kinder zum Beispiel die meisten ihrer ersten Wörter in Situationen mit Joint Attention, wo sie den Referenten einer sprachlichen Äußerung eindeutig identifizieren können (Bruner 1995). Daher ist es auch nicht überraschend, dass die Zeit, die Kinder mit ihren Müttern in Situationen mit Joint Attention verbringen, positiv mit ihrem Wortschatzwachstum korreliert (Tomasello & Farrar 1986). Nach und nach gelingt es Kindern schließlich, Situationen mit JA durch sprachliche Mittel herzustellen. Kinder kommen folglich anfangs durch nicht-sprachliche Mittel in Situationen mit Joint Attention (z.B. Zeigegesten), erwerben in diesen Situationen ihre ersten Wörter und nutzen diese schließlich, um neue, sprachlich initiierte Situationen mit Joint Attention herzustellen.
Bisher konzentrierten sich Studien zu Joint Attention jedoch v.a. auf visuelle Joint Attention, eine Modalität, die blinde Personen durch andere Sinne wie z.B. die auditive oder taktile Modalität kompensieren müssen, was insbesondere blinden Kindern Schwierigkeiten zu bereiten scheint. So können blinde Kinder den Aufmerksamkeitsfokus und die Intentionen ihres Interaktionspartners nicht durch reine Beobachtung ablesen (Perez-Pereira & Conti-Ramsden 1999), sondern müssen meist Inferenzen aus auditiven und taktilen Stimuli ziehen, um sich diese indirekt zu erschließen. Dieser Prozess erfordert mehr (soziale) Erfahrung, andere Mechanismen und womöglich auch einen höheren Verarbeitungsaufwand als das bloße Beobachten des Gegenübers. Blinde Kinder benötigen daher sowohl ein ausdifferenziertes Wissen von räumlichen Konzepten und Kausalität, als auch von sich selbst als handelnder Person, um aus den verschiedenen Reizen die korrekten Schlüsse ziehen zu können. Doch um ein solches Wissen zu erwerben, müssen sie ihre Umwelt erkunden, wobei sie wiederum größere Schwierigkeiten haben als sehende Kinder, da sie die eingehenden Informationen, v.a. im taktilen Bereich, sequentiell verarbeiten müssen, um sie im Anschluss zu einer Gesamtrepräsentation zusammenzusetzen. Trotz dieser vorhandenen Hürden scheinen gesunde blinde Kinder Fähigkeiten zu erwerben, um mit ihrem Interaktionspartner Joint Attention herzustellen, jedoch scheint dies später der Fall zu sein als bei sehenden. Diese Ausführungen zeigen, dass blinde Kinder zwar in der Lage sind, Situationen mit Joint Attention herzustellen, dass sie jedoch länger brauchen, um diese Fähigkeit zu erwerben.
Der Grund dafür scheint der höhere Verarbeitungsaufwand und/oder ein ausdifferenzierteres Selbstkonzept zu sein, die für Joint Attention notwendig sind. Abgesehen von zwei kleineren empirischen Untersuchungen (Bigelow 2003; Ingsholt 2002), gibt es keine Untersuchung, die systematisch den Erwerb von Joint Attention bei blinden Kindern erforscht hat und keine Studie hat bisher versucht, einen Zusammenhang zwischen Joint Attention und Spracherwerb bei dieser Population herzustellen.
Diese Forschungslücke möchte das vorliegende Projekt schließen, indem blinde und sehende Kinder über einen längeren Zeitraum miteinander verglichen werden. Der Vergleich von Interaktionen blinder vs. sehender Kinder mit ihren Bezugspersonen soll generell Aufschluss darüber geben, welchen Einfluss der Sehsinn auf den Interaktionsprozess an sich und indirekt auf den Spracherwerb hat. Zum einen sollen die Fragen beantwortet werden, (1) zu welchem Zeitpunkt blinde und sehende Kinder Joint Attention entwickeln und (2) welche Modalitäten hierbei involviert sind. Des Weiteren soll untersucht werden, (3) wer Joint Attention initiiert und (4) ob die Länge der Sequenzen mit der Zeit zunimmt. In Bezug auf den Spracherwerb steht die Frage im Vordergrund, (5) ob dieser wegen eines verzögerten Erwerbs von Joint Attention ebenfalls verzögert eintritt oder ob es lediglich zwei unterschiedliche Spracherwerbsverläufe gibt, je nachdem in welcher Modalität (visuell versus taktil und/oder auditiv) Joint Attention stattfindet. In diesem Zusammenhang soll erforscht werden, (6) ob bei blinden Kindern ebenfalls ein Vokabelspurt auftritt sobald Kind und Bezugsperson in der Lage sind, Joint Attention herzustellen und aufrechtzuerhalten.
Um die oben genannten Forschungsfragen beantworten zu können, wird eine Longitudinalstudie durchgeführt, bei der Mutter und Kind in einer strukturierten Interaktion (in Anlehnung an das Communication Play Protocol von Adamson & Bakeman 1998) aufgenommen werden. Die Probanden sind drei sehende und drei blinde Kinder, die zwischen dem 14. und 30. Lebensmonat alle vier Wochen (60 Minuten) auf Video aufgenommen werden. Die Transkription und Annotation der Audio- und Videodaten erfolgt in ELAN. Die Kinder werden zu bestimmten Zeitpunkten ebenfalls durch eine Batterie unabhängiger Tests (ELFRA, Entwicklungsbeobachtungsbögen von Brambring 1999) in Bezug auf ihre sprachlichen und kognitiven Fähigkeiten getestet, um auf diese Weise mögliche Korrelationen zwischen Sprachstand, kognitiver Entwicklung und der Fähigkeit, Joint Attention herzustellen zu ermitteln.
Die Studie wird helfen, mehr über die sprachliche und kognitive Entwicklung blinder Kinder zu erfahren. Daher sollen die Ergebnisse des Projektes auch für FrühförderInnen, PsychologInnen, SprachtherapeutInnen sowie Eltern fruchtbar gemacht werden, um blinde Kinder bestmöglich zu fördern. Durch die Teilnahme an der Studie sollen die Eltern einerseits Anregungen für die Interaktion mit ihrem Kind bekommen und mit adäquatem Spielmaterial für blinde Kinder vertraut gemacht werden. Darüber hinaus haben sie die Möglichkeit, Fragen und Unsicherheiten zu thematisieren und die Beratung eines Experten für angeborene Blindheit und hochgradige Sehbehinderung, einer Frühförderin und einer Sprachtherapeutin zu erhalten.

Bibliographie

  • Adamson, L. & R. Bakeman. 1998. The Communication Play Protocol. Technical Report 8. Unpublished Document. Revised Version June 2013.
  • Baldwin, D. A. 1995. Understanding the Link between Joint Attention and Language. In C. Moore & Ph. J. Dunham (Eds.), Joint attention: Its origins and role in development, 131–158. Hillsdale, NJ: Erlbaum.
  • Bigelow, A. 2003. The development of joint attention in blind infants. Development and Psychopathology 15. 259–275.
  • Brambring, M. 1999. Entwicklungsbeobachtung und -förderung blinder Klein- und Vorschulkinder. Würzburg: Ed. Bentheim.
  • Bruner, J. 1995. From Joint Attention to the Meeting of Minds: An Introduction. In C. Moore & P. J. Dunham (Eds.), Joint attention: Its origins and role in development, 1–14. Hillsdale,NJ: Erlbaum.
  • Ingsholt, A. 2002. Joint attention - a precursor of "theory of mind": A special phenomenon in blind children. http://www.icevi.org/publications/ICEVI-WC2002/papers/07-topic/07-ingsholt1.htm (10. Februar 2013).
  • Pérez-Pereira, M. & G. Conti-Ramsden. 1999. Language development and social interaction in blind children. Hove: Psychology Press.
  • Tomasello, M. 1988. The role of joint attention in early language development. Languagescience 11. 69–88.
  • Tomasello, M. 1995. Joint Attention as Social Cognition. In C. Moore & P. J. Dunham (Eds.), Joint attention: Its origins and role in development, 103–130. Hillsdale, NJ: Erlbaum.
  • Tomasello, M. 2006. Social-Cognitive Basis of Language Development. In K. Brown (Ed.), Encyclopedia of language and linguistics (2nd ed.), 459–462. Amsterdam: Elsevier.
  • Tomasello, M. & J. Farrar. 1986. Joint attention and early language. Child Development 57. 1454–1463.

Mitgliedschaften

  • Internationale Forschungsstelle für Mehrsprachigkeit
  • Deutsche Gesellschaft für Kognitive Linguistik (DGKL)
  • International Association for the Study of Child Language (IASCL)
  • Interdisciplinary Centre for Cognitive Language Studies (ICCLS)
  • Associated member of the Laboratoire Structures Formelles du Langage (Paris 8 & CNRS), Paris

Lebenslauf

Qualifikation
Promotion
Psycholinguistik (summa cum laude), Co-tutelle zwischen der Ludwig-Maximilians-Universität München & Université de Paris V
Titel: Der Einfluss sprachtypologischer Faktoren im Erstspracherwerb:
Der Ausdruck von Bewegungsereignissen im Deutschen und
Französischen.
Magister
Germanistische Linguistik (Nebenfächer: Französisch und Neuere
Deutsche Literatur), Ludwig-Maximilians-Universität München, 2007
Staatsexamen
Deutsch und Französisch für das Lehramt an Gymnasien, Ludwig-Maximilians-Universität München, 2006
Licence
Allgemeine Sprachwissenschaft, Université de Paris V, 2004
Wissenschaftliche Laufbahn
Seit 04/2013
Akademische Rätin
Seit 2012
Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl Prof. Dr. Claudia
Riehl, Institut für Deutsch als Fremdsprache, Ludwig-Maximilians-Universität, München
2010 – 2012
Wissenschaftliche Beschäftigte am Institut für Deutsche
Philologie (Germanistische Linguistik und Sprachtherapie),
Ludwig-Maximilians-Universität, München
2010 – 2014
Externe Mitarbeit im deutsch-französischen Projekt
LANGACROSS_2 (DFG/ANR): “Äußerungsstruktur im
Kontext: Sprache und Kognition im Spracherwerb aus einer
sprachvergleichenden Perspektive.” (Leitung: Ch. Dimroth für
Deutschland, M. Hickmann für Frankreich). Assoziiertes
Mitglied des Pariser Teams, Laboratoire Structures Formelles
du Langage, CNRS & Université Paris 8, Paris
2010 – 2011
Wissenschaftliche Begleitung eines Pilot-Projektes zur
Untersuchung von gezielten Sprachfördermaßnahmen bei
visuell beeinträchtigten und blinden Kindern (Zusammenarbeit
mit der Fédération des Aveugles de France, FAF), Paris
2008 – 2010
Wissenschaftliche Mitarbeitern im deutsch-französischen
Projekt LANGACROSS (DFG/ANR): “Äußerungsstruktur im
Kontext. Erst- und Zweitspracherwerb in sprachvergleichender
Perspektive.” (Leitung: Ch. Dimroth für Deutschland, M.
Hickmann für Frankreich). Laboratoire Structures Formelles du
Langage, CNRS & Université Paris VIII, Paris
2007 – 2008
Forschungsaufenthalt am Laboratoire Structures Formelles du
Langage der Université Paris VIII, Paris
2006 – 2007
Mitarbeit in einem interdisziplinären Projekt (DaZ, Germanistik
und Pädagogik) zur Entwicklung von Modellen zur
sprachlichen Frühförderung von Kindern mit
Migrationshintergrund, Ludwig-Maximilians-Universität, München
2004 – 2006
Tutorin am Institut für Romanische Philologie (Französisch und
Spanisch), der Ludwig-Maximilians-Universität, München
2001 – 2003
Studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für Informatik
(Musterfrüherkennung) der Friedrich-Alexander-Universiät, Eralangen/Nürnberg
2001 – 2003
Diagnose und Sprachtherapie von Vorschulkindern in der
Schulvorbereitenden Einrichtung der Sprachheilschule Stielerstraße, München
Seit 2000
Unterrichten von Deutsch als Zeit-/Fremdsprache in
verschiedenen Umfeldern: Förderung zweisprachiger Kinder
(DaZ), Unterrichten von Schülern in Frankreich (DaF), freie
Mitarbeiterin in der DeutschAkademie (München)
Workshop- und Tagungsorganisation
Februar 2023
In 60 Jahren um die Welt: „Sprachkontakt – Sprachmischung – Mehrschriftlichkeit“ Jubiläumssymposium für Prof. Claudia M. Riehl
19. – 21. April 2017
Konferenz „Thinking, doing, learning“ (Konzeption und
Organisation), Ludwig-Maximilians-Universität, München
03. – 04. November 2016
Alumni-Treffen des Forschungskollegs Frühkindliche Bildung
der Robert-Bosch-Stiftung (Organisation und Durchführung),
Berlin
06. – 07. November 2014
Alumni-Treffen des Forschungskollegs Frühkindliche Bildung
der Robert-Bosch-Stiftung (Organisation und Durchführung),
Berlin
15. – 16. Mai 2013
Workshop „Zwei(t):Sprache lernen“ ” (Konzeption,
Organisation und Fundraising), Ludwig-Maximilians-Universität München
19. – 20. Mai 2011
Workshop “Sprach(e):lernen” (Konzeption, Organisation und
Fundraising), Ludwig-Maximilians-Universität München
8. – 10. Oktober 2009
Graduierten Konferenz der Reihe languagetalks, Thema:
„Emotionale Grenzgänge“ (verantwortlich für Finanzen und
Fundraising), Ludwig-Maximilians-Universität München
25. – 26. Juni 2009
Workshop „Gesehene Sprache“ (Konzeption, Organisation und
Fundraising), Ludwig-Maximilians-Universität München
22. – 23. Februar 2008
Journées doctorales an der Université Paris 8 (Konzeption und
Organisation)
Stipendien und Drittmittel
2012
Grant des Projektes NetWords (finanziert von der European
Science Foundation) zur Kollaboration mit Kollegen in Paris
(Maya Hickmann) und Wien (Soonja Choi, Wolfgang Ulrich
Dressler).
2011 – 2013
Stipendiatin des Forschungskollegs Frühkindliche Bildung der
der Robert-Bosch-Stiftung (Förderlinie II: Post-Docs &
Habilitanden)
2010 - 2013
Mentee des Mentoring-Programmes der Ludwig-Maximilians-Universität München, finanziert von der Deutschen
Exzellenzinitiative
2007 – 2009
Promotionsstipendium des Evangelisches Studienwerks Villigst
2003 – 2004
DAAD-Stipendium
2000 – 2001
e-fellows.net-Stipendium