Herr Prof. Dr. Jürg Fleischer trägt im Linguistischen Kolloquium vor. Wir freuen uns auf den Vortrag!
Abstract:
Da, wo, was, so: Grammatik und Entstehung unflektierter Relativsatz-Einleitungen im Diasystem des Deutschen
Zum ererbten Formenbestand des Deutschen gehört das Demonstrativpronomen nhd. der/die/das, das seit Beginn der Überlieferung auch in eingeleiteten Relativsätzen verwendet werden kann. Als prototypisches Relativpronomen kongruiert der/die/das mit seinem Antezedens in Genus und Numerus und enkodiert über seine Kasusform die syntaktische Rolle des relativisierten Nomens im Relativsatz. Neben diesem Relativpronomen treten im deutschen Diasystem jedoch seit Beginn der Überlieferung und auch noch in modernen Dialekten Relativsatzeinleitungen auf, die entweder seit jeher als unflektierbar anzusehen sind oder die im Verlauf der Entwicklung unflektierbar geworden sind, und die entweder in Kombination mit der/die/das oder alleine Relativsätze einleiten können. In dieser Funktion sind die ursprünglich lokalen Adverbien da und wo, das ursprünglich pronominale was sowie das ursprüngliche Adverb so belegt. Das bereits im Althochdeutschen in Relativsätzen belegte da tritt fast immer in Kombination mit dem Pronomen der/die/das auf (1). Eine ähnliche Kombination ist in modernen Dialekten, etwa im Bairischen, auch mit dem deutlich jüngeren wo belegt, das darüber hinaus aber auch alleine Relativsätze einleiten kann (2). Das zunächst pronominale was, das etwa auch in moderner standardnaher Sprache neutrales relativisches das ersetzen kann (vgl. Brandt/Fuß 2019), hat sich in bestimmten dialektalen Systemen zu einer Partikel entwickelt, die bezüglich Genus und Numerus des Antezedens keine Beschränkungen mehr aufweist (3). Mit so eingeleitete Relativsätze, die ebenfalls keinerlei Beschränkungen bezüglich Genus und Numerus des Antezedens stellen, sind typisch für das Frühneuhochdeutsche und ältere Neuhochdeutsche (4).
(1) … einan nothaft uúitmaran therde uuas ginennit barabbas (Tatian; ed. Masser 310, 24–25)
… einen weitberühmten Gefangenen, der da war genannt Barrabas
(lat. … uinctum insignem qui dicebatur barabbas)
(2) Der Mõ (der) wo uns g’hoifa hod (bairisch; Bayer [1984] 2025: 21)
(3) də mån, wåt dåur wēr (ostpommersch; zit. n. Fleischer 2005: 178)
(4) die erbeyt, szo tzur walffart gehoret (Luther, Traktat)
Im Vortrag sollen diese vier nicht flektierbaren relativischen Elemente in Bezug auf ihre Grammatik, Entstehung und Verbreitung genauer beleuchtet werden (wobei neben dem Deutschen auch nordfriesische und jiddische Daten diskutiert werden). Dabei stellt sich – bei alleinigem Auftreten – immer die Frage, wie die Identifikation der syntaktischen Rolle des relativisierten Elements gelingt. Als grundlegendes Beschreibungsinstrumentarium dient die Noun Phrase Accessibility Hierarchy (Keenan/Comrie 1977: 66), die als implikationale Hierarchie die Möglichkeiten der Relativsatzbildung beschreibt. So zeigt sich etwa, dass so-Relativsätze nur dann möglich sind, wenn das relativisierte Nomen im Relativsatz die syntaktische Funktion des Subjekts oder direkten Objekts hat, andere syntaktische Funktionen sind für diese Art der Relativsatzbildung offensichtlich nicht zugänglich.
Zitierte Literatur
Brandt, Patrick / Eric Fuß (2019): Relativpronomenselektion und grammatische Variation: was vs. das in attributiven Relativsätzen. In: Eric Fuß, Marek Konopka & Angelika Wöllstein (Hgg.), Grammatik im Korpus: 91–209. Tübingen: Narr.
Bayer, Josef (1984): COMP in Bavarian syntax. In: The Linguistic Review 3: 209–274. Neubearbeitung in: Bayer, Josef (2025): Bavarian syntax – the left clausal periphery (Linguistische Arbeiten 589): 13–76. Berlin/Bosten: De Gruyter.
Fleischer, Jürg (2005): Relativsätze in den Dialekten des Deutschen: Vergleich und Typologie. In: Helen Christen (Hg.): Dialektologie an der Jahrtausendwende (Linguistik online 24): 171–186. https://bop.unibe.ch/linguistik-online/article/view/642/1113
Keenan, Edward L. / Bernard Comrie (1977): Noun phrase accessibility and universal grammar. In: Linguistic Inquiry 8: 63–99.